
Warum Einbürgerung? / Cappuccino nach dem Essen!
Die Leute sind immer total verblüfft, wenn sie mitkriegen, dass ich „nur“ einen italienischen Pass besitze. „Waaas? Eeeecht? Und das obwohl du hier geboren bist?“ Als wollten sie sagen: „Was, echt? Aber du sprichst doch gut Deutsch!?“ Ich hab‘ tatsächlich mal von einem älteren Herren gehört, man merke mir garnicht an, dass ich Italiener sei. Irgendwie lustig, oder?
Ist ganz amüsant zu beobachten, wie wenig sich Menschen mit dem Thema auskennen. Aber warum sollten sie auch. Schließlich betrifft es sie ja nicht unmittelbar. Ich persönlich bin hingegen immer ziemlich überrascht, dass andere überrascht sind, dass ich keinen deutschen Pass habe. Für mich ist das alles andere als Selbstverständlich. Für mich ist es normal, Ausländer zu sein – auch auf dem Papier. Warum also erwarten alle immer, dass ich zumindest zwei Staaten angehöre? Auf jeden Fall zumindest dem Deutschen – versteht sich. Als ob es nicht möglich wäre, Abitur und einen deutschen Hochschulabschluss zu haben, in Deutschland geboren und sogar auch noch aufgewachsen zu sein, ohne einen deutschen Pass zu haben…
Ich habe lange darüber nachgedacht, was es für mich persönlich bedeutet, die deutsche Staatsbürgerschaft anzunehmen. Ein Bekannter sagte einmal – ich glaube es war beim letzten Deutschland – Italien Fußballspiel bei der EM: Deutschland ist meine Heimat – aber Italien mein Vaterland!
Erst dachte ich: Witzig! Danach ist mir die Tiefsinnigkeit dieser Aussage nicht mehr aus dem Kopf gegangen. In der Schule haben wir immer über solche Themen sprechen müssen. Was ist Heimat? Was ist zu Hause? Was ist Vaterland? Da ging es um Exil-Schriftsteller. Meistens Schriftsteller, die aus dem Dritten Reich vertrieben wurden. War total öde und langweilig damals. Jetzt verstehe ich das ein bisschen. Auch wenn als Ausländer im heutigen Deutschland aufzuwachsen nicht mal Ansatzweise mit den Schicksalen aus dem Schulunterricht vergleichbar ist. Trotzdem! Die meisten Italiener, die ich kenne, haben keine deutsche Staatsbürgerschaft. Ich habe oft sogar das Gefühl, dass sie stolz darauf sind. Dass sie nie auf die Idee kommen würden, sich einbürgern zu lassen. Ich hatte auch schon Diskussionen mit anderen Italienern die sagten: „Spinnst du? Ich werd doch kein Deutscher!?!“ Versteh‘ ich nicht. Was unterscheidet jeden Italiener meiner Generation – der hier geboren, aufgewachsen und zur Schule gegangen ist, von einem deutschen Staatsbürger? Nur der Pass, Unpünktlichkeit und mehr Spaß bei Fußballturnieren. Fast zumindest. Natürlich birgt eine Kultur Dinge, die eine andere wiederum nicht kennt. So ist das nunmal. Aber am Ende sind nach meiner Erfahrung diejenigen, die sich vehement dagegen wehren, Deutscher zu sein oder zu werden, eben jene, die kein Wort – oder zumindest kein korrektes – Italienisch sprechen. Sie sprechen nur Deutsch. Bin ich der einzige hier, der das absurd findet??
Ich denke auf Deutsch!
Ich sehe das so: Ich bin hier aufgewachsen. Ich kenne mich in Deutschland besser aus als in Italien. Ich beherrsche die Deutsche Sprache besser als die Italienische. Und am wichtigsten: Ich denke auf Deutsch! Das ist für mich der Beweis dafür, dass ich eigentlich mehr Deutscher als Italiener bin. Ob es mir passt oder nicht. Die Einbürgerung ist also nur noch die letzte logische Konsequenz. Eigentlich geht es um praktische Dinge im Alltag.
Um eine Adressänderung in meinen Personalausweis einzutragen, muss ich heute aufs Konsulat. Viele öffentliche Einrichtungen akzeptieren meinen italienischen Ausweis nicht als gleichwertiges Ausweisdokument. Und das obwohl es eigentilch völlig egal ist, ob ich einen italienischen oder deutschen Personalausweis vorlege – EU-weit zumindest. Der Gipfel des ganzen ist, dass die italienischen Behörden es mir nicht ermöglichen nach einem Umzug die Adresse in meinem Ausweis aktualisieren zu lassen. „Wir machen das einfach nicht.“ Ich solle doch einfach den Ausweis als verloren melden und einen neuen Ausstellen lassen. Klar. Weil das auch so kurz geht… So ein Blödsinn!
Außerdem – ich möchte hier in Deutschland, in dem Land, in dem ich lebe, wählen dürfen. Was bringt es mir, wenn ich über die politische Entwicklung in Italien mitbestimmen darf – mutmaßlich. Ich weiß doch nichteinmal, wer die ganzen Kandidaten sind und welche politische Einstellung sie pflegen. Aber hier in Deutschland, hier weiß ich es. Hier habe ich eine Meinung und hier, bilde ich mir ein, hat es Einfluss auf mein Leben, wer an der Macht ist und wer nicht.
Aber trotzdem – ich möchte meine italienische Staatsbürgerschaft nicht abgeben! Ich weiß auch nicht genau warum. Ich bin auch stolz darauf, italienischer Staatsbürger zu sein. Vielleicht mach‘ ich es mir zu einfach, weil ich beides haben will. Weil ich nichts abgeben will, keinen Kompromiss eingehen will. Weil ich einfach nicht meine eine Staatsangehörigkeit für die andere aufgeben will.. oder kann. Als Immigrant bzw. Mensch mit Migrationshintergrund ist man in Deutschland Der Ausländer und in seinem Vaterland Der Deutsche. Garnicht so einfach sich da zu entscheiden, wo man eigentlich dazugehören will.
Ich will beide!
Ich schätze genau das macht es doch aus. Genau das macht mich aus. Und genau das macht schlussendlich diese moderne, multikulturelle Gesellschaft in Deutschland aus. Menschen, die ein Vaterland und ein Heimatland haben, die nicht identisch sind. Menschen, die aber stolz auf beide Nationalitäten sind und beide Kulturen zu schätzen wissen und verinnerlicht haben. Menschen mit italienischem Pass, die bei italienischen Freunden nach dem Essen auf Deutsch einen Cappucino bestellen! Das ist der Inbegriff von Integration – finde ich. Italiener, die Spaghetti auf dem Löffel aufwickeln.
Genau um diese Integration zweier Kulturen weiter zu treiben, schreibe ich hier diese Zeilen. Ich bin fasziniert, wenn Kollegen mir von ihren unzähligen Versuchen, die perfekte Pizza zu backen erzählen. Genauso spannend ist es aber, wenn ich meiner italienischen Verwandtschaft einfach ein Weißwurstfrühstück vor die Nase setze. „Was? Wurst und Bier zum Früüühstück?? Ich will lieber ’nen Espresso. Oder einen Cappuccino!“
Glücklicherweise erlauben es die Gesetze, dass ich auch tatsächlich beide Nationalitäten besitze. Das ist nicht selbstverständlich. Für Nicht-EU Länder sieht es schwieriger aus. Aber das lasse ich jetzt einfach mal außen vor. Diese Klügsten Männer (und Frauen) der Welt, da oben in der Politik, werden sich sicherlich etwas dabei gedacht haben. So wie sie sich vermutlich etwas dabei gedacht haben, die doppelte Staatsbürgerschaft innerhalb der EU zu ermöglichen. Das fördert Integration!