
Die Prüfung | Das Ende
Die letzte EC-Kartenzahlung als nicht-deutscher Staatsbürger. Was wird sich eigentlich ändern? Nichts. Alles. Meine PIN jedenfalls nicht.
Gebühr entrichtet. Der letzte Point-of-no-Return. Ich mache mich auf den Weg Richtung Drehtür. Zum sechsten Mal heute. Innerhalb von 11 Minuten. Die Auszubildende senkt ihren Blick schlagartig, als sie um die Ecke biegt und mich sieht. Fast so, als hätte sie Angst vor mir. „Bald ist es vorbei“ murmle ich vor mich hin. Bald würde ich offiziell Deutscher sein. Dann bräuchte sie auch keine Angst mehr vor mir haben.
Ab durch die Drehtür und rüber ins andere Gebäude. AUSLÄNDERAMT prangt in großen Lettern neben der Tür. Ein letztes Mal fühle ich mich angesprochen. Beim Hinauslaufen würde dieses Schild für mich nichts anderes mehr sein, als eine sinnlose Aneinanderreihung von Buchstaben.
Die Kopftuchfrau kommt mir in der Tür entgegen. Gefolgt von einem jungen, bärtigen Mann. Mutmaßlich ihr Sohn. Was die wohl da wollten? Ich werde es wohl nie erfahren.
Genug geschwafelt. Schluss mit pseudosentimentalen Monologen und Schluss mit der Bildung unzähliger Sätze im Konjunktiv-II, der sich jedweder inhaltlicher Notwendigkeit entzieht. Außerdem bin ich gar nicht so sicher, ob ich den K2 (ja, die Abkürzung hab‘ ich gerade erfunden!) richtig verwendet habe. Jeder Grammar-Nazi spreche bitte jetzt – oder er schweige für immer.
Ich laufe aufgeregt den Flur hinab, betrete Zimmer 61 und tue wie mir befohlen vorgeschlagen: Ich nehme Platz.
– Schön, dass Sie da sind, Herr Biasi. Den Beleg dürfen Sie behalten.
Es folgt inhaltsloser Smalltalk. Schon vergessen.
– Ihren Antrag habe ich hier. Soweit ist alles in Ordnung. Haben Sie Ihren Ausweis dabei? Und die Gehaltsnachweise?
Ich überreiche Frau T. alle Papiere. Den Ausweis legt sie neben sich ab. Meine Gehaltsabrechnungen heftet sie in meiner Ausländerakte ab.
– Sehr gut. Vielen Dank. Sie müssen dann noch das Formular zur Bekenntnis- und Loyalitätserklärung ausfüllen und unterzeichnen. Haben Sie es dabei?
Während ich in meiner Mappe das Formular suche, überfährt überrascht Frau T. mich mit einer Frage, die so direkt wie unerwartet an mich gerichtet wird:
Was verstehen Sie unter Demokratie?
Oha. Also doch Anhörung. Bewerbungsgespräch. Quiz.
Ausgezeichnet!
Zugegebenermaßen war ich kurz durcheinander. Schließlich hatte ich keineswegs mit einer Abfrage im Stil meines früheren Gemeinschaftskundelehrers erwartet. Im Improvisieren war ich aber schon immer gut und das ganze Bloggen hat den schönen Nebeneffekt, dass ich alle Briefe und Merkblätter quasi auswendig gelernt habe.
Mein Gehirn verhält sich wie ein VW-Turbolader der früheren Generation: Erst kommt nichts außer heiße Luft. Dann – wenn der (Gehirnzellenlade-)Druck da ist – schießen die Wörter aus mir Heraus:
Volkssouveränität, Parlamentarische Opposition, freie, allgemeine, geheime und gleiche Wahlen, die Macht geht vom Volk aus, Meinungs- und Pressefreiheit.
Volle Punktzahl. Frau T. ist zufrieden.
– Prima. Ich sehe, sie haben sich vorbereitet. Jetzt müssen Sie noch für Punkt 2.3 auf dem Formular Ihre Wahl treffen.
Ich nehme den Stift an mich und setzte mein Kreuz bei: Ich verfolge oder unterstütze keine extremistischen Bestrebungen
Noch bevor ich den Stift wieder ablege, schießt Frau T. mit der nächsten Frage auf mich:
Wieso haben Sie genau diesen Punkt angekreuzt?
Bitte was? Was soll denn diese Frage? Ich verstehe schon – das ist die Nummer mit dem Flughafen in den USA. Sind Sie Terrorist? Ich muss es also echt ehrlich, selber sagen und so.
– Ich habe diesen Punkt gewählt, weil ich sicher bin, dass ich keine extremistischen Bestrebungen verfolge oder unterstütze und das auch nie getan habe.
Ohne zwischendurch Luft zu holen schieße ich zurück. Bäm! Doch Frau T. ist noch nicht fertig. Einen hat sie noch. Immer noch lächelnd fragt sie höflich:
Was sind extremistische Bestrebungen?
– Was machen denn Gruppierungen, die extremistische Bestrebungen verfolgen beispielsweise?
Nachladen, ansetzen, zielen und:
Sie bedrohen die freiheitlich demokratische Grundordnung, das Grundgesetz und den Bestand sowie die Sicherheit von Bund und Länder.
Ich hätte noch ein paar gehabt, aber Frau T. unterbricht mich zufrieden.
– Freut mich, dass sie das wissen und wiedergeben können, Herr Biasi. Wissen Sie, viele antworten nur mit „Gegen Gesetze verstoßen“ – aber das ist ja nun nicht ganz vollständig. Damit wären wir auch schon beim letzten Punkt. Sie müssen sich noch bekennen. Dazu stehen wir auf, das verleiht dem ganzen mehr würde. Sie dürfen aber ablesen.
Sie reicht mir ein Papier. Dickes Papier. Mit Bundesadler. Ich stehe auf. Sie steht auf. Laut und inbrünstig lese ich:
Ich erkläre feierlich,
dass ich das Grundgesetz
und die Gesetze
der Bundesrepublik
Deutschland
achten und alles
unterlassen werde,
was ihr schaden könnte.
– Vielen Dank, Herr Biasi. Das haben Sie sehr gut gemacht.
Frau T. macht eine kurze Pause und fügt dann hinzu:
– Sie sind jetzt Deutscher.
Ich nehme dankend meine Einbürgerungsurkunde entgegen. Sie sei der höchste Beweis meiner Staatsangehörigkeit und ich solle gut darauf aufpassen. Gemeinsam mit dem Bundesadler packe ich sie in die Mappe, die ich von Frau T. bekomme.
– Das war’s. Ich brauche nur noch kurz Ihre Aufenthaltsgenehmigung, damit ich sie ungültig stempeln kann. Ihren italienischen Ausweis können Sie wieder einstecken.
Bratzz! UNGÜLTIG
Mit meiner Einbürgerungsurkunde kann ich nun meinen Personalausweis auf dem Rathaus beantragen. Ich verabschiede mich, packe meine Sachen und mache mich auf dem Weg nach draußen. In meinem Kopf ertönt beim Hinauslaufen Ashes of Eden. Vermutlich so ca. ab 3:45 Minuten.
Ich steige ins Auto, ohne zu vergessen vorher noch einen flüchtigen Blick auf den linken Hinterreifen zu werfen. Alles ok. Und? Wie fühle ich mich? Puh. Ganz normal. Komisch. Nicht komisch. Verwirrt. Enttäuscht. Zufrieden. Ich weiß auch nicht. Ich freue mich. Aber eigentlich passiert nichts. Außer dass ich 255€ + 5€ Parkgebühr ärmer bin und eine Einbürgerungsurkunde besitze.
Was schreib ich denn jetzt in meinem Blog?
Abwarten.
Ich habe fertig.